Über 400 Jahre alt und reich mit Holzschnitzereien verziert – das Eickesche Haus in der Einbecker Marktsstraße 13 ist ein herausragendes Beispiel für die Fachwerkkunst der Spätrenaissance. Wer heute die seit 2006 in diesem restaurierten Baudenkmal untergebrachte Tourist-Information betritt, wird kaum vermuten, dass der Erhalt dieser Fachwerkikone schon mehrmals in seiner Geschichte auf Messers Schneide stand. So auch 2001, als Einbecker Familien die Initiative ergriffen und die „Stiftung Eickesches Haus“ gründeten. Ihr Ziel damals: Spenden zu sammeln, um das akut einsturzgefährdete Gebäude zu erhalten.
Mit Hilfe vieler Hände ist diese Rettung gelungen. Das Eickesche Haus steht heute für die erfolgreiche Verbindung von denkmalschutzgerechter Sanierung und sinnvoller, zeitgemäßer Nutzung. Es zeigt aber auch, dass Bürgerwille und privates Engagement etwas bewegen können.
Wir bedanken uns bei allen Spendern, erhoffen uns allerdings auch weitere Unterstützung – denn dieses Haus muss auch erhalten werden – und freuen uns über Nachahmer, denen wir mit unseren Erfahrungen gerne beratend zur Seite stehen.
EICKESCHES HAUS
Der furchteinflößende Mars, die tanzende Therpsichore oder die selbstbewusste Rhetorica – es sind besonders die reichen, detailgenau gearbeiteten figürlichen und auch ornamentalen Zierschnitzereien am Fachwerk des Eickeschen Hauses, die den Betrachter in ihren Bann ziehen. Sie wecken den Wunsch, mehr über diesen Prachtbau zu erfahren. Das Eickesche Haus hat mehr als eine Geschichte zu erzählen.
GESCHICHTE
Erbauer unbekannt
Das Eickesche Haus hat Glück gehabt. 1612 erbaut, hat es die Verheerungen des 30jährigen Krieges überstanden, gleichmütig Stadtbeschießungen und Kriege im 18. Jahrhundert erduldet und den Flammen des Einbecker Großbrandes von 1826 getrotzt. Es überlebte relativ unbeschadet die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts und kam kurz vor dem endgültigen Alterskollaps im ersten Jahrzehnt des zweiten Jahrtausends in den Genuss eines umfassenden Rettungsschirms. Sein Bauherr und erster Besitzer ist unbekannt. Wer war der Mann, der dieses in seinen Ausmaßen eher bescheidene, mit seinem außergewöhnlich dekorativen Schmuck in der Fassadengestaltung umso prächtigere Gebäude in Auftrag gab? Am wahrscheinlichsten ein wohlhabender und gebildeter Kaufmann. Häufig hat das Haus seitdem seine Besitzer gewechselt. Sein Name „Eickesches Haus“ erinnert an den Kurz- Weiß- und Wollwarenhändler Hermann Eicke. Er hatte das schmucke Fachwerkhaus 1877 gekauft und führte dort über 60 Jahre lang sein Geschäft für Borten und Zierbänder, Kordeln und Quasten. Seit 2002 gehört das Eickesche Haus der Stiftung gleichen Namens, die mit dem Ziel gegründet wurde, die für die Sanierung benötigten Mittel einzuwerben und das Haus wieder nutzbar zu machen.
BAUDENKMAL
Besonderes Kulturgut
Seit 2001 wird das Eickesche Haus in der Liste deutscher Baudenkmäler als ein Gebäude von besonderer nationaler und kultureller Bedeutung geführt – und das aus guten Gründen. Im 19. Jahrhundert schätzten die Zeitgenossen bis hinauf zum 99-Tage-Kaiser Friedrich III. das Haus ausschließlich wegen seiner außerordentlich dekorativen Fassadengestaltung. Heute geht der denkmalpflegerische Ansatz wesentlich weiter und umfasst den historischen Zeugniswert eines Gebäudes als Ganzes. Dazu gehören beim Eickeschen Haus die original erhaltene bauliche Konstruktion im Einklang mit dem dekorativen Fachwerk, das historische Raumgefüge, die Dokumentation historischer Umbauphasen und außergewöhnliche Baudetails wie die freistehende Ecke im Erdgeschoss. Im Zuge der Instandsetzungsarbeiten wurden alle Anforderungen des Denkmalschutzes berücksichtigt und eine Fülle neuer Erkenntnisse zur Baugeschichte des Eickeschen Hauses, aber auch zu genutzten Materialien, Bautechniken und der Handwerkskunst vergangener Jahrhunderte gewonnen.
ZIERSCHNITZEREI
Die Brüstungstafeln – Ein Bilderbuch
zeitgenössischen Wissens
„Da guckst du!“ Allerdings. Wer sich auf die Mitte der Straßenkreuzung Knochenhauer-/Ecke Marktstraße stellt, hat den besten Blick auf die prächtigen Zierschnitzereien an den beiden Schauseiten des Hauses und kann mit den Augen auf eine einzigartige Entdeckungsreise gehen.
Neben üblichen dekorativen Mustern wie Perlschnur, Zahnschnitt und Laubranken schmücken die beiden Fronten des Eickeschen Hauses über 200 figürliche Schnitzereien. In einzigartiger Vielfalt blicken Männer- Frauen- und Löwenköpfe von den Balkenenden, die 42 Brüstungsplatten der drei Geschosse zeigen in verblüffender räumlicher Tiefe und Detailgenauigkeit mythologische, allegorische und christliche Motive. Alle figürlichen Schnitzereien sind unterschiedlich gearbeitet und zeigen in ihrer Licht- und Schattenwirkung eine hervorragende bildhauerische Qualität. Einmalig sind die drei als römische Krieger gekleideten Atlanten an der nordwestlichen Ecke, die – je nach Stockwerk – unterschiedlich schwer an der Last des Hauses tragen. Das Bildprogramm am Eickeschen Haus zeigt die Bildungswelt im Humanismus und der Renaissance. Die Themenkreise der Planetengottheiten, der sieben „freien“ Künste, der Tugenden, Musen, fünf Sinne und Christus mit den Evangelisten und Aposteln waren in ihrer Entstehungszeit bekannt, beliebt und weit verbreitet. Ob wir diese Tafeln heute so „lesen“ und verstehen können wie die Menschen damals, bleibt offen.
RETTUNG I
Sanierung und Restaurierung – Viele Jahre Patient
Seit 1997 war das Eickesche Haus in der „Roten Mappe“ des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege (NLD) vermerkt. In dieser Akte sind alle sanierungsbedürftigen Gebäude gelistet, die unter Denkmalschutz stehen. Zwei Jahre später schlug der verantwortliche Baustatiker Alarm. Er hatte feststellt, dass sich die Gebäudekonstruktion des Eickeschen Hauses dramatisch verformt hatte und praktisch nur noch von den Dielenbrettern im Inneren zusammengehalten wurde. Daraufhin wurde das Haus zunächst notdürftig von außen abgestützt, um den endgültigen Kollaps zu verhindern. Die Ergebnisse der umfangreichen baustatischen, archäologischen, bauhistorischen und restauratorischen Untersuchungen und Gutachten bildeten die Grundlage für die denkmalgerechte Sanierung und Restaurierung des Eickeschen Hauses. Diese Forschungen und Funde förderten eine Fülle neuer Informationen zu bauzeitlichen Fragestellungen, Umbauphasen, Erneuerungen und Ergänzungen zutage. Baustatiker, Archäologen, Architekten, Denkmalpfleger, Restauratoren und über 40 Gewerke arbeiteten vier Jahre – von 2002 bis 2006 – daran, diesem baulichen Kleinod neue Standfestigkeit und Pracht zu geben. Mit einem großen Bürgerfest weihten die Einbecker schließlich ihr Eickesches Haus am 3. September 2006 ein. Seitdem residiert hier die Tourist-Information Einbeck und stellt sicher, dass kein Besucher der Stadt diese außergewöhnliche Sehenswürdigkeit verpasst.
Mehr Informationen: Download 400 Jahre Bürgerstolz
Preise
Für die gelungene denkmalgerechte Sanierung des Eickeschen Hauses ist die Stiftung mit zwei Preisen ausgezeichnet worden.
2008 erhielt sie den Preis für Denkmalpflege der Niedersächsischen Sparkassenstiftung. In der Begründung wurden neben der Rettung eines außergewöhnlichen Baudenkmals besonders das bürgerschaftliche Engagement und das erfolgreiche Nutzungskonzept hervorgehoben.
Bei der Verleihung zum ersten Preis des Deutschen Fachwerkpreises 2009 würdigte Professor Manfred Gerner als Laudator das außerordentliche Sanierungsergebnis und den vorbildlichen Prozess von der Gründung einer Stiftung zum Erhalt des Gebäudes über die gründlichen Voruntersuchungen bis hin zu den in höchster handwerklicher Qualität ausgeführten Restaurierungsarbeiten.